Die Feminismus-Debatte der vergangenen 50 Jahre war richtig und wichtig und in Sachen Gleichberechtigung ist noch immer viel zu tun. Aber in diesen Jahrzehnten ist auch etwas verloren gegangen: das männliche Selbstverständnis. „Wann ist ein Mann ein Mann?“, sang bereits 1984 Herbert Grönemeyer. Jetzt habe ich nicht die, aber eine Antwort gefunden: wenn ich mich bei Fayez auf den Barbier-Stuhl setze!
Fayez ist syrischer Kriegsflüchtling und statt in Damaskus zu studieren, frisiert er nun im Herren-Salon von „Setar’s Friseur“ in der Itzehoer Feldschmiede Männerbärte und -haare. Was für meinen Großvater noch selbstverständlich war, bietet heute kaum noch ein deutscher Friseur, stattdessen füllen nun Syrer diese entscheidende Lücke. Oder Iraner, wie jener, bei dem ich mich vor Jahren in Wien barbieren ließ. Und es ist eine entscheidende Lücke, die sich schleichend aufgetan hat!
Bei „Setar’s Friseur“ werden nicht nur Haare geschnitten, hier wird das Mann-sein gelebt. Während Frauen aus ihrem Friseurbesuch seit jeher ein Ereignis gemacht haben, haben wir Männer uns weggeduckt, uns zum Teil von den eigenen Frauen die Haare kürzen lassen, als ginge es nur darum, das immer schütter werdende Deckhaar zu stutzen … Nein, auch für einen Mann kann, nein, muss ein Besuch beim Barbier ein Erlebnis sein.
Bevor Fayez auch nur die Nähe seiner Schere sucht, bringt er mir einen schwarzen Tee. Nachdem ich in aller Ruhe meine beiden Zuckerstückchen verrührt habe, besprechen wir die gewünschte Länge des Seiten- und des Haupthaares, die Position des Scheitels und die Länge der Barthaare. Nun übernimmt Fayez das Zepter: Zunächst wird der elektrische Haartrimmer in Stellung gebracht und die Haare fliegen nur so vom Kopf und aus dem Gesicht. Danach klappert der junge Syrer mit seiner Schere durch das Haupthaar, bevor er mit einem neuen Rasiermesser die Bartkonturen schneidet. Anschließend steckt er mir in schwarzen Wachs getunkte Q-Tips in Ohren und Nase und pinselt zudem noch etwas Wachs auf meine Nasenflügel. Eine Minute später reißt er gekonnt alles wieder ab und heraus – die lästigen Ohren-, Nasenhaare und Mitesser sind verschwunden. Der Schmerz gehört in einem Männer-Salon dazu. Auch sonst sind die beiden Friseure nicht zimperlich – und das ist gut so!
Auf ein Gesichtspeeling folgt eine Haarwäsche, von der zuvor ebenfalls keine Rede gewesen war, hier und da noch eine kleine Korrektur plus stutzen der Augenbrauen, dann nimmt Fayez den Fön und stylt mit Haargel und -lack meinen Schädel auf Laufstegniveau. Zum Schluss noch etwas Rasierwasser und ich fühle mich wie neugeboren. 30 Minuten Männer-Wellness vom Feinsten! Und eben darum geht es: nicht nur um das gute Aussehen, sondern um das gute Gefühl. Das Gefühl als Mann wahr und ernst genommen zu werden. Der Preis ist in zweifacher Weise nebensächlich: 20 Euro (inklusive Trinkgeld).
Damit schließt sich auch der Kreis zum Thema Gleichberechtigung: meine Frau muss bei ihrer Friseurin für weniger Leistung das Doppelte zahlen …
Zeichnung: Marion von Oppeln